Abschiebungen sind keine Lösung! Seehofers Gesetzentwurf diskriminiert erneut Menschen aus den Westbalkanstaaten.

Am Samstag, den 13. April findet in Freiburg eine Demonstration unter dem Motto „Stop Deportation – Abschiebungen sind keine Lösung“ statt. Das Freiburger Forum ruft zur Beteiligung an dieser Demonstration auf. Umso wichtiger ist dies angesichts der aktuellen Pläne aus dem Bundesinnenministerium, Abschiebungen noch weiter zu erleichtern. Der Gesetzentwurf mit dem euphemistischen Kurznamen „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ enthält eine Reihe von Verschärfungen, die wir ablehnen.

So sieht er u. a. vor, dass die Veröffentlichung von Abschiebungsterminen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. Diese Strafvorschrift wurde vielfach kritisiert und ist rechtlich fragwürdig. In der Praxis würde sie nicht nur JournalistInnen und antirassistische AktivistInnen kriminalisieren, sondern von Abschiebung bedrohte Menschen einer oft wichtigen letzten Chance berauben, die ihnen zustehenden Rechtsmittel gegen eine Abschiebung einzusetzen. Dies beträfe nicht zuletzt Menschen aus den sogenannten Westbalkanstaaten, die in den letzten Jahren in vielen Bundesländern einem besonders aggressiven Abschiebungskurs ausgesetzt sind. Aus Baden-Württemberg heben monatlich drei Abschiebungsflieger in die Länder Serbien, Mazedonien, Kosovo und Albanien ab. Auch die Menschen aus diesen Ländern haben gute Gründe zu bleiben, und es ist wichtig, dass sie nicht durch völlig unerwartete Abschiebungstermine daran gehindert werden, diese Gründe geltend zu machen.

Doch gerade das Schicksal von Menschen aus diesen Ländern – viele davon Angehörige der Minderheit der Roma – bleibt zur Zeit in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Kaum diskutiert wird auch ihre weitere pauschale Schlechterstellung, die in Seehofers Gesetzentwurf vorgesehen ist.

Seit die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ ab 2014 auf die Westbalkanstaaten ausgeweitet wurde, folgte eine Gesetzesverschärfung dicht auf die nächste, die die Menschen aus diesen Ländern zunehmend entrechteten, die nach dem 30. 08. 2015 eingereist sind. Bereits jetzt sind sie von einer gründlichen Prüfung ihrer Asylanträge ebenso wie von fast allen Möglichkeiten einer Integration in die Gesellschaft rechtlich ausgeschlossen. Sie müssen unbefristet, bis zu ihrer Abschiebung oder Ausreise, in Erstaufnahmeeinrichtungen leben.

Nach dem aktuellem Gesetzentwurf sollen die Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ zu denen gehören, die in einen neuen Sub-Status noch unterhalb der Duldung gedrängt werden. Bereits die Duldung ist ein „Nicht-Status“: kein Aufenthaltsstatus, sondern die Registrierung derjenigen, die abgeschoben werden sollen, deren Abschiebung aus verschiedensten Gründen aber kurz- oder längerfristig nicht möglich ist. Der neue Status – die „Bescheinigung über vollziebare Ausreisepflicht“ – würde eine noch weitere Einschränkung von Rechten bedeuten: Den Ausschluss von jeglichen Bildungs- oder sonstigen Angeboten, „die die Integration verfestigen könnten“, ein Erwerbsverbot, die Streichung der Sozialleistungen, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf den Bezirk der Ausländerbehörde und Wohnsitzauflage, der Ausschluss von der Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen (d. h. ein Aufenthalt z.B. bei lebensbedrohlicher Krankheit!) zu erhalten. Selbst Eltern von Kindern, die aufgrund ihrer schulischen Integration eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, sollen künftig von der bisher vorgesehenen Möglichkeit ausgeschlossen werden, bei Erwerb des eigenen Lebensunterhalts und guter Integration selbst auch eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.

Bemerkenswert ist die ausgesprochen willkürliche Zuordnung der Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ zum Kreis derer, die in den neuen Sub-Status fallen sollen. Allgemeines Kriterium dafür ist, dass die Unmöglichkeit der Abschiebung den Betroffenen „zuzurechnen“ sei. Das Wort „zuzurechnen“ ersetzt im Gesetzentwurf durchgängig den früheren Terminus „verantwortlich“. Die sprachliche Schwammigkeit ist offenbar durchaus gewollt: „Verantwortung“ im Sinne eines Handelns, bei dem das Individuum einen Entscheidungsspielraum hat und dementsprechend für seine Entscheidungen verantwortlich gemacht werden kann, spielt jetzt keine Rolle mehr. „Zugerechnet“ wird die nicht erfolgte Abschiebung von Dritten, es liegt in deren Ermessen, was sie zurechnen oder nicht und weswegen. Und tatsächlich: In der nicht abschließenden Liste der Kriterien, wann die Nichtabschiebung den Betroffenen selbst „zuzurechnen“ ist, befindet sich – neben fehlenden Dokumenten, unzureichender „Mitwirkung“ oder falschen Angaben – auch die Einreise aus einem „sicheren Herkunftsstaat“.

Die Flüchtlinge aus diesen Ländern, die in aller Regel qua Geburt zu Angehörigen dieser „sicheren Herkunftsstaaten“ geworden sein dürften, haben offensichtlich keinerlei Handlungsspielraum, diese Eigenschaft abzulegen. Von „Verantwortung“ kann also keine Rede sein, von „Zuschreibung“ allerdings schon. Noch viel wirrer wird es, wenn man sich fragt, warum die Staatsangehörigkeit zu einem „sicheren Herkunftsstaat“ dafür ursächlich sein sollte, dass jemand nicht abgeschoben werden kann – denn darum geht es ja bei der Regelung. Vielmehr werden ja gerade Menschen aus diesen Staaten laufend abgeschoben; allein aus Baden-Württemberg starten seit Jahren monatlich drei Abschiebecharter in den Westbalkan. Gemeint ist also natürlich etwas anderes: Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ dürften eigentlich gar nicht fliehen, wenn sie doch nach Deutschland gekommen sind, sollten sie so schnell wie möglich wieder verschwinden, und wenn sie das noch nicht getan haben, dann sind sie wohl besondere Schlitzohren, die auf keinen Fall einen guten Grund haben können zu bleiben. Das alles sind abstruse Unterstellungen, die nicht nur moralisch und rechtlich, sondern auch logisch überhaupt nichts in dem Passus zur „Bescheinigung über vollziehbare Ausreisepflicht“ verloren haben. Aber sie gehen offenbar ohne nennenswerten Widerspruch durch.

Woran mag das liegen? Zu befürchten ist, dass sich selbst eine interessierten Öffentlichkeit schon allzu sehr daran gewöhnt hat, dass Flüchtlinge aus „sicheren Herkunftsstaaten“ zu Migranten zweiter Klasse degradiert werden. Ihre Flucht wird systematisch delegitimiert und sie werden in Erstaufnahmelagern segregiert, ihre Schicksale bleiben unbemerkt.

Ihre Situation kann sich durch den neuen Gesetzentwurf tatsächlich in vielen Fällen gar nicht mehr weiter verschlimmern, weil ihnen die Möglichkeiten zur Anerkennung im Asylverfahren oder zum Bleiberecht über Integration genommen wurden. Doch müssen aus menschenrechtlicher Perspektive auch Einzelne zählen, und seien sie noch so wenige. Das könnten zum Beispiel Menschen sein, die aufgrund lebensbedrohlicher Krankheiten ganz unabhängig von ihrem Asylverfahren ein Anrecht auf eine Duldung oder einen Aufenthalt aus humanitären Gründen hätten. Aus den Mühlen des Asyl- und Abschiebeverfahrens und der Isolation der Erstaufnahmeeinrichtungen heraus ist es de facto für solche Menschen schon jetzt schwer genug, solche Rechte durchzusetzen. Ihnen würde mit Seehofers Gesetz jedoch nun auch de jure die letzte Chance genommen.

Aus Italien kam kürzlich die Nachricht von der Abschaffung des humanitären Aufenthalts durch den Lega-Innenminister Salvini, die mit großer Empörung aufgenommen wurde. Sein deutscher Amtskollege schafft dasselbe ohne großen Widerstand – erst einmal für die Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“, wie es dann weitergeht, wird sich zeigen.

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