Wir zwingen ja nicht zur Ausreise, aber…

Ein Interview mit Sören Gadzke (Freiburger Forum) zur blockierten Abschiebung Anfang Mai und zum Begriff der „freiwilligen Ausreise“ (Unwort des Jahres 2006) Das Interview wurde von der studierenden Zeitschrift berta* geführt.

Das Interview in der berta* (.pdf)

Kannst du uns berichten, was in der Nacht auf den 7. Mai in einem Flüchtlingswohnheim in der Mooswaldalle geschehen sollte und was dann tatsächlich geschehen ist?
Nach dem Willen der Behörden sollte eine Roma-Familie nach Serbien abgeschoben werden. Dabei wurde auch nicht berücksichtigt, dass die 8-jährige Tochter unter psychischen Problemen leidet. Der Anwalt der Familie hatte einen Härtefallantrag gestellt, der jedoch unbearbeitet zurückgewiesen wurde; damit blieb der Abschiebetermin unerwartet gültig. Die Familie hat sich daraufhin an die Rückkehrberatung des roten Kreuzes gewandt, um mit der dortigen Mitarbeiterin eine sogenannte „freiwillige Rückreise“ zu organisieren. Das Regierungspräsidium Karlsruhe teilte dann mit, dass so eine freiwillige Ausreise nicht mehr möglich sei, die Familie also trotzdem von der Polizei abgeholt und per Flugzeug abgeschoben werden solle. Zumindest konnte ausgehandelt werden, dass die Familie keine Wiedereinreisesperre bekommt. Tatsächlich passiert ist dann, dass sich eine Gruppe von solidarischen Menschen gefunden hat, die den Eingang zu der Wohnung der Familie blockierten und so die Abschiebung durch die Polizei verhinderten, die angesichts der vielen Menschen unverrichteter Dinge wieder umkehrte.
Weshalb werden Familien wie diese überhaupt abgeschoben?
Das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht ist darauf abgestellt, dass Menschen, die hier her kommen, erst einmal kein Recht haben, hier zu sein. Mit dieser Grundlage und unter vielen Hürden muss das Recht erkämpft werden, hier bleiben zu können. Die Asylverfahren sind sehr stark auf politische und staatliche Verfolgung zugeschnitten und die deutschen Behörden erkennen solche Problemlagen für Länder des ehemaligen Jugoslawiens nicht an. Obwohl relativ viele Menschen von dort fliehen, fallen diese damit durch das Raster des Asylsystems und auch andere Aufenthaltsgründe werden oft nicht anerkannt. Seit September 2014 hat sich die Situation nochmals verschlechtert, als Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt wurden. Damit wurde einfach nur das bereits etablierte Vorgehen zementiert, Asylanträge dieser Menschen als offensichtlich unbegründet abzulehnen.
Was ist eigentlich gegen diese Abschiebungen einzuwenden, wenn die Herkunftsstaaten doch sicher sind?
Erst einmal ist dieses Prädikat eines „sicherer Herkunftsstaat“ ein reines Konstrukt, das es in vielen EU-Ländern gar nicht gibt und falls doch, werden ganz unterschiedliche Staaten darunter gefasst. Ob ein Land als sicher gilt oder nicht, müsste eigentlich Gegenstand einer wissenschaftlichen Analyse sein, ist aber tatsächlich eine rein politische Entscheidung. Willkürlich sind auch die Mechanismen, nach denen Länder als sichere Herkunftsstaaten deklariert werden. Nicht die plötzliche Sicherheit eines Landes löst eine solche Einstufung aus, sondern die Anzahl von dort aus gestellter Asylanträge. Im Moment ist beispielsweise der Kosovo in der Diskussion, nachdem um die Jahreswende viele Menschen von dort kamen, nicht weil der Kosovo sicherer geworden wäre. Roma werden in den Ländern des Westbalkans in verschiedensten Lebensbereichen diskriminiert und haben oft gar keine Lebensperspektiven. Sie haben wenige bis gar keine Chancen auf Schulbildung, einen Job, Sozialhilfe oder darauf, sich verteidigen zu können. Viele trauen sich nicht die Polizei zu rufen, weil sie sich dann der Gefahr ausgesetzt sehen, gerade nochmal verprügelt zu werden. So eine Mehrfachdiskriminierung wäre Grund genug, ihnen Schutz zu bieten.
Bedeutet die erfolgreiche Verhinderung der Abschiebung, dass die Familie nun hier bleiben kann?
Bei so einer Blockade geht es erst einmal um den Akt dieser Abschiebung, die Ausführung staatlicher Gewalt, bei der Menschen nachts von Polizist*innenaus ihren Wohnungen geholt und in ein Auto oder ein Flugzeug gesetzt werden. Dieser inakzeptable Eingriff des Staates in die menschliche Freiheit und Privatsphäre muss erst einmal verhindert werden, egal was danach kommt. Es gibt Personen, denen eine solche Blockade Perspektiven eröffnet, weil sie beispielsweise zum Zeitpunkt der Abschiebung noch nicht den Rechtsweg ausgeschöpft haben. Im Fall dieser konkreten Familie war das schwierig; sie war mittlerweile gezwungen, nach Serbien zurückzureisen.
Das Regierungspräsidium Karlsruhe sprach nach der Blockade davon, dass die Familie hätte freiwillig ausreisen wollen. Weshalb wurde die Abschiebung dann verhindert?
Diese „freiwillige Ausreise“ ist eigentlich ein Euphemismus und ähnelt den Angeboten im bekannten Mafia-Klassiker „Der Pate“: Angebote, die nicht abgelehnt werden können. Die Geflüchteten werden vor eine existenzielle Entscheidung gestellt und gleichzeitig mit der Drohung einer Abschiebung konfrontiert. Viele der Roma-Flüchtlinge sind in Familien hier hergekommen und können für ihre Kinder nicht verantworten, so eine Abschiebung erleben zu müssen. Fast alle haben den Jugoslawien-Krieg und Verfolgung erfahren, viele sind traumatisiert. Wenn die Polizei nachts plötzlich aufschließt, reinkommt und die Menschen teilweise unter Gewaltanwendung abführt, löst das schreckliche Dinge aus. Auch deswegen müssen viele Roma das Angebot einer Einwilligung in die „freiwillige Ausreise“ annehmen.  Im Vergleich zu einer Abschiebung werden dabei eventuell relative Verbesserungen erzielt, wie etwa ein Ausbleiben der Wiedereinreisesperre, und die Ausreisen finden mit ganz regulären Bussen statt, in denen beispielsweise auch Tourist*innen mitfahren. Nur ist es oft fraglich, was eigentlich der Unterschied zwischen Abschiebung und freiwilliger Ausreise ist. Gerade im konkreten Fall der blockierten Abschiebung, wurde die nächtliche Abholung durch die Polizei immer noch als freiwillige Ausreise deklariert, vermutlich weil bei der Rückkehrberatung die Bereitschaft dazu angemeldet wurde und weil der Familie zugestanden worden war, dass zumindest die Wiedereinreisesperre nicht gesetzt würde. So wurde eine astreine Abschiebung rhetorisch zur freiwilligen Ausreise gemacht. Es ist vor allem ein politisches Mittel, die Ablehnungs- und Asylpolitik gegenüber Geflüchteten in einer Zeit salonfähig zu machen, in der Angriffe auf Flüchtlingsheime zunehmen und Rassismus offen in Form von Demonstrationen gegen Asylbewerber*innen manifest wird. Auf der anderen Seite formiert sich auf verschiedene Weise ein großer Protest gegen Abschiebungen. Blockaden werden in immer mehr deutschen Städten organisiert, Helfer*innenkreise gründen sich, Menschen empören sich über Abschiebungen. Die „freiwillige Ausreise“ ist ein perfides Mittel, diesen Widerstand zu umgehen, rhetorisch zu brechen und praktisch die Abschiebungen noch stiller und ungesehener ablaufen zu lassen. Ganz egal wie harmonisch so eine Ausreise ablaufen mag: Die Menschen werden zur Rückkehr gezwungen.
Was sollte und könnte deiner Meinung nach in der Asylpolitik geändert werden?
Die Möglichkeit besteht, für bestimmte verfolgte Gruppen ein humanitäres Bleiberecht einzuführen, was wir auch für Roma aus dem Westbalkan fordern. Das könnten die Länderinnenminister*innen selbstständig für ein halbes Jahr im jeweiligen Bundesland in Eigenregie durchsetzen, später bräuchte es dann die Zustimmung des*der Bundesinnenministers*in. Außerdem fordern wir eine sinnvolle Bleiberechts-Regelung für Menschen, die hier schon seit Jahren leben. Das wären durchführbare, politische Entscheidungen. Es dürfen nicht einfach nur die harschen Asylkriterien beachtet werden, sondern die Mehrfachdiskriminierung der Roma muss ernst genommen werden. Es ist eine Frage des politischen Willens, deren Situation anzuerkennen.
Vielen Dank für das Interview!

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