Offener Brief an die Landesregierung Baden-Württemberg

Wir fordern ein humanitäres Bleiberecht für Roma-Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien und Serbien!

Roma unterliegen in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien umfassender Diskriminierung. Sie sind massiv von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen. Die gravierenden Folgen dieser Situation sind in zahlreichen Studien dokumentiert worden: Kinder finden keinen Zugang zu schulischer Bildung, Erwachsene haben keine Chance auf reguläre Arbeit, Krankheiten werden nicht angemessen behandelt, die Lebenswartung ist erheblich verringert. Roma sind in ihrem Alltag mit Vorurteilen, mit offener Ablehnung und auch mit gewalttätigen Übergriffen konfrontiert. Nicht nur durch Roma-Organisatonen und NGOs, auch in offiziellen Berichten der Europäischen Union wird auf die hoch problematische Diskriminierung der Roma hingewiesen.

Gleichzeitig aber wird versucht, Roma an der Ausreise aus ihren Herkunftsländern zu hindern und ihnen wird die Anerkennung als Flüchtlinge verweigert. Roma, denen es gleichwohl gelingt, nach Deutschland zu kommen,  leben hier unter Bedingungen eines unsicheren Duldungsstatus. Ihnen droht eine erzwungene Ausreise und die Abschiebung.
Um diese für die Betroffenen schwer erträgliche Situation zu beenden, fordern wir die Landesregierung Baden-Württembergs auf, Roma ein humanitäres Bleiberecht zu gewähren.

Dazu bedarf es keiner Gesetzesänderungen, sondern nur einer humanen Auslegung des geltenden Rechts. Im § 23 des deutschen Aufenthaltsgesetzes heißt es:
„Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.“

Und eine Erläuterung des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestags stellt dazu fest:
„Das Tatbestandsmerkmal der ‚humanitären Gründe‘ betrifft Fälle, in denen zwar keine völkerrechtliche Verpflichtung besteht, Deutschland aber aufgrund besonderer Umstände eine moralische Verpflichtung trifft.“ (Deutscher Bundestag, wissenschaftlicher Dienst, 063/14)

Im Fall der Roma folgt eine solche moralische Verpflichtung aus der gezielten Ermordung der Roma im Nationalsozialismus. Von den ca. 40.000 Roma, die im Deutschen Reich lebten, wurden über 25.000 ermordet. Historiker schätzen die Zahl der Ermordeten in Europa auf über 200.000. Dass aus der historischen Verantwortung Deutschlands auch eine moralische Verpflichtung zur Aufnahme bestimmter Flüchtlingsgruppen folgt, hat die Bundesregierung bereits  anerkannt. (Bundestags-Drucksache 11/8439)

Nach 1945 wurde Roma die Anerkennung als Opfer des NS-Regimes  verweigert. Die nationalsozialistische Verfolgung wurde verleugnet, Anträge auf Entschädigungen wurden abgelehnt und an die Polizei weitergeleitet, die die „Zigeuner-Akten“ der NS-Zeit weitergeführt. Erst Anfang der 1980er Jahre wurde die deutsche Verantwortung für den Völkermord an den Roma durch die damalige Bundesregierung anerkannt.

Im Staatsvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, unterzeichnet am 28.11.2013, heißt es:
„Die grausame Verfolgung und der Völkermord durch das nationalsozialistische Regime brachten unermessliches Leid über Sinti und Roma in unserem Land und zeitigen Folgen bis heute. Dieses Unrecht ist erst beschämend spät politisch anerkannt und noch nicht ausreichend aufgearbeitet worden. Auch der Antiziganismus ist noch immer existent und nicht überwunden.“ Weiter ist dort vom einer „besonderen geschichtlichen Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma als Bürgerinnen und Bürger unseres Landes“ die Rede.

Wir fordern die Landesregierung dazu auf, Verantwortung nicht allein gegen Sinti und Roma mit deutscher Staatsangehörigkeit, sondern auch gegenüber den Roma zu übernehmen, die vor Diskriminierung nach Baden-Württemberg fliehen.

Deshalb appellieren wir an die Landesregierung, keine Abschiebungen von Roma-Flüchtlingen anzudrohen und durchzuführen sowie allen, die hierher geflüchtet sind, ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zu erteilen.


Hiermit unterstütze ich den offenen Brief.

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